Die Poppelsdorfer Allee und die Bonner Südstadt
von Martin Stumpf
1 Poppelsdorfer Allee2 Die Bonner Südstadt
1 Poppelsdorfer Allee
Die Poppelsdorfer Allee bildet die repräsentative Achse zwischen dem ehemaligen kurkölnischen Residenzschloß in Bonn und dem Schloß Clemensruhe in Poppelsdorf. Wenn die Anlage auch heute durch die Eisenbahnlinie und mehrere verkehrsreiche Straßen durchschnitten wird und auch durch zum Teil unproportionierte moderne Bebauung in ihrer Wirkung beeinträchtigt ist, stellt sie dennoch ein eindrucksvolles Überbleibsel barocker Landschaftsarchitektur aus der Zeit Bonns als Residenzstadt der Kölner Erzbischöfe und Kurfürsten dar.
- Johann Franz Rousseau (vermutlich Bonn, um 1717-1804) Bonn Poppelsdorfer Kirmes, um 1746/47, Öl/Leinwand; 61 x 84 cm, Bonn Stadtmuseum
Die ursprüngliche Idee, die Residenz in Bonn mit der Maison de Campagne in Poppelsdorf zueinander in achsialen Bezug zu setzen, stammt von Kurfürst Joseph Clemens. Schon vor seiner 1715 erfolgten Rückkehr aus dem französischen Exil während des Spanischen Erbfolgekrieges, schmiedete er Pläne für den Weiterbau des Bonner Schlosses und den Bau des Lustschlosses in Poppelsdorf. Das Poppelsdorfer Schloß wurde anstelle einer im 17. Jahrhundert nach Kriegszerstörungen abgerissenen Wasserburg errichtet.
Anstelle der heutigen Allee war ursprünglich eine Kanalachse projektiert, die sich allerdings wegen der Geländebeschaffenheit und der ständig angespannten Finanzlage des Kurfürsten nicht verwirklichen ließ.
Zur Anlage der Allee kam es erst unter dem nachfolgenden Clemens August. Gleichzeitig mit dem neuerlichen Weiterbau des Poppelsdorfer Schlosses wurde unter seiner Regierung um 1745 mit der Anlage der heutigen Poppelsdorfer Allee begonnen; 1755 dürfte sie vollendet gewesen sein. In diesem Zeitraum wurden auch die beiden Wachhäuschen symmetrisch vor Schloß Clemensruhe errichtet, von denen das südliche erhalten geblieben ist.
Die Allee wurde nun ohne mittleren Kanal als Fahrweg zwischen dem BuenRetiroFlügel der Residenz (am heutigen Kaiserplatz) und dem Mittelpavillion des Ostflügels des Poppelsdorfer Schlosses, die axial aufeinander bezogen sind, angelegt.
- Luftaufnahme der Poppelsdorfer Allee, Foto Michael Sondermann, Presseamt der Bundesstadt Bonn, Weiterverkauf nicht gestattet
Bei der von der französischen Gartenbautheorie inspirierten Anlage handelt
es sich um eine aufwendige allee double, d.h. um eine breite offene
Allee mit einem mittleren Grünstreifen (einem sog. tapis vert), deren seitliche
Baumreihen verdoppelt sind und so ihrerseits je eine geschlossene, schattenspendende
Nebenallee bilden. Die Kastanien der Alleen standen ursprünglich nach französischer
Mode auf schmalen Rasenstreifen.
Den "point de vue" der Blickschneise der Allee von der Bonner Residenz
in Richtung Poppelsdorf bildet die etwas aus der Achse versetzt liegende Kreuzbergkirche,
die zwischen 1745 und 1752 unter Clemens August durch den Anbau der Heiligen
Stiege erweitert und im Innenraum neu ausgestattet wurde.
- Poppelsdorfer Schloß, Foto Michael Sondermann, Presseamt der Bundesstadt Bonn. Weiterverkauf nicht gestattet
Während die Poppelsdorfer Allee im 18. Jahrhundert vor allem als axiale
Sichtverbindung im Sinne der französischen Gartenarchitektur anzusehen
ist, spielte sich der Durchgangsverkehr auf der weiter westlich verlaufenden
heutigen Meckenheimer Allee ab. Diese alte Chaussee, die Bonn mit dem Ahrtal
und Trier verband, wurde ebenfalls unter Kurfürst Clemens August verbreitert
und in direkterer Linienführung, allerdings ohne Alleebäume angelegt;
ihre Verlängerung, die heutige Trierer Straße, wurde gleichzeitig
aus gebaut. Dennoch stellte ihre verbesserte Trassenführung keine Direktverbindung
ins Stadtzentrum Bonns dar: Auch nach der Aufhebung der Festung führte
die Straße nicht direkt zum Münsterplatz, sondern mündete erst
am Sterntor in die Stadt. So wurde der Verkehr wirkungsvoll aus dem Bereich
zwischen den beiden Schlössern ferngehalten. Der Ausbau der Chaussee, die
in einer Quelle von 1756 als "in Stand und auch bezahlt" (von der
Dollen, 1978, S. 117) bezeichnet wird, diente im wesentlichen dazu, das kurfürstliche
Jagdschloß Herzogsfreude in Röttgen schnell und bequem erreichen
zu können.
- Poppelsdorfer Allee mit Schloß Clemensruhe, Foto Michael Sondermann, Presseamt der Bundesstadt Bonn, Weiterverkauf nicht gestattet
Die Funktionstrennung zwischen der Meckenheimer Allee als Straße für
den Durchgangsverkehr und der Poppelsdorfer Allee als Promenade und Grünanlage
ist heute noch spürbar; sie ist der signifikanteste Rest eines nie vollendeten
barocken Wegachsensystems zwischen den kurfürstlichen Schlössern und
Lustbauten in Bonn, Poppelsdorf, Röttgen und dem Schloß Augustusburg
in Brühl, das über eine weitere Allee an das Poppelsdorfer Schloß
angebunden werden sollte. Dieses Alleenprojekt blieb jedoch unvollendet; das
einzige vollendete Stück bildet die heutige Nußallee.
Im 19. Jahrhundert wurde die Poppelsdorfer Allee einer der bestimmenden Ordnungsfaktoren für die südliche Stadterweiterung Bonns.
2 Die Bonner Südstadt
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts genoß die Stadt Bonn einen ausgezeichneten Ruf: Im Zuge der Rheinromantik und wegen des milden Klimas, aber auch wegen der die noch recht kleine Stadt prägenden Atmosphäre der 1818 gegründeten Universität zogen viele reiche Industrielle, Bankiers und wohlhabende Rentner nach Bonn und errichteten großzügige Villen am Rhein. Die Industrialisierung berührte Bonn eher randlich, so daß das Flair der kultivierten Stadt in schöner landschaftlicher Lage erhalten blieb und weiterhin für den Zuzug wohlhabender Leute, hauptsächlich Pensionäre vom Niederrhein und aus dem Ruhrgebiet, sorgte. Dadurch wurde der bis mindestens zum Zweiten Weltkrieg bestehende Ruf Bonns als Rentner- und Universitätsstadt manifestiert.
Unter Rentnern sind allerdings weniger Rentner nach heutigem Sprachgebrauch, sondern vielmehr von den Erträgen ihres Vermögens lebende Personen zu verstehen. Es handelte sich bei ihnen oftmals um sehr kapitalkräftige Einwohner der Stadt.
Die zunehmende Attraktivität Bonns sorgte für ein langsames, aber stetiges Wachstum der Bevölkerung, das eine Ausdehnung der Stadt nach sich zog.
Im Gegensatz zur ebenfalls im Laufe der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts entstandenen Bonner Nordstadt, die in erster Linie von Arbeitern, kleinen Angestellten und vor allem von Handwerkern bewohnt wurde, handelt es sich bei der südlichen Stadterweiterung um ein Quartier für das gehobene Bürgertum; dieser wohlhabende Mittelstand konnte sich keine der ganz vornehmen Villen am Rhein leisten und siedelte sich daher in der benachbarten Südstadt an.
Der Verlauf der Poppelsdorfer Allee und der Coblenzer Straße (der heutigen Adenauerallee) waren die Fixpunkte für die um 1830 sehr langsam anlaufende Erweiterung der Stadt nach Süden. Ein Hauptgrund für das zögerliche Fortschreiten der Bebauung lag in einer fehlenden Gesamtplanung, die erst 1855/56 von dem Stadtbaumeister Paul Thomann in Angriff genommen wurde. Der sogenannte Thomann-Plan, der ein annähernd rechtwinkliges Straßennetz und mehrere Plätze im Gebiet zwischen Reuterstraße, Poppelsdorfer Allee und Coblenzer Straße vorsah, wurde in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts nach und nach aufgegeben, weil juristische Auseinandersetzungen mit den Grundstücksbesitzern und vor allem mit den in den Plan einbezogenen Nachbargemeinden Kessenich und Poppelsdorf drohten. So wurde in der Folgezeit ohne eine übergeordnete Planungsrichtlinie, allenfalls noch in Anlehnung an den Thomann-Plan gebaut.
Das Verhältnis des Dorfes Poppelsdorf zur Stadt Bonn gewann erst ab 1818 an Bedeutung, denn die in diesem Jahr neugegründete Bonner Universität bezog als Gebäude sowohl das Bonner Schloß als auch das auf Poppelsdorfer Gemarkung liegende Schloß Clemensruhe. In diesem Zusammenhang gab es, insbesondere seit den sechziger Jahren, immer wieder Vorstöße von verschiedenen Seiten, Poppelsdorf und andere umliegende Gemeinden der Stadt Bonn einzugliedern, die aber immer wieder scheiterten, weil die Stadt Folgekosten scheute. Als 1904 Endenich und Poppelsdorf endlich eingemeindet wurden, waren beträchtliche Teile der heutigen Südstadt schon vorhanden; die Stadtgrenze spielte für die Bebauung keine besondere Rolle mehr. Die Gemeindegrenze zwischen Bonn und Poppelsdorf lag an der Poppelsdorfer Allee ungefähr auf der Höhe der Einmündung des heutigen Venusbergweges, auf der von Bonn aus rechten Seite der Allee noch ein Stück weiter südlich. Auch das Pfennigsdorfsche Anwesen befindet sich somit auf Poppelsdorfer und nicht etwa auf alter Bonner Gemarkung.
In der Bonner Südstadt dominiert die geschlossene Zeilenbebauung mit Einfamilienhäusern; Mehrfamilienhäuser waren ursprünglich die Ausnahme. Während die Grundrisse dieser Reihenhäuser - meist sogenannte Dreifensterhäuser mit drei Fensterachsen - sich im wesentlichen entsprechen, sind die Fassadengestaltungen höchst verschieden. Diese Individualität zeigt sich auch bei den einzelnen Fassaden der zahlreichen Häusergruppen, die auf einmal von einem Investor als Spekulationsobjekte gebaut und dann an einzelne Interessenten verkauft wurden. Der Käufer eines solchen Hauses konnte die Dekoration seines Hauses gewissermaßen "aus dem Katalog" bestellen und so seinem persönlichen Geschmack und seinem Repräsentationsbedürfnis Ausdruck verleihen.
Einzeln stehende Villen sind in der eigentlichen Südstadt eher selten, solche entstanden vorwiegend in den exklusiveren Baugebieten am Rhein entlang der heutigen Adenauerallee.
Gelegentlich ist die Zeilenbebauung unterbrochen; die so exponierten Zeilenendhäuser sind ebenso wie die Eckhäuser der Reihen oft durch reicheren Baudekor und anspruchsvollere Architekturelemente (wie z.B. Ecktürme) betont.
Bis in die frühen siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts dominieren in der Südstadt klassizistische Bauformen, erst in der folgenden Zeit setzt sich der historistische Stilpluralismus immer mehr durch, d.h. Fassaden mit Stilelementen der Neogotik und der Neorenaissance sowie des Neobarock bzw. rokoko dominieren immer mehr und zeigen ein gesteigertes Bedürfnis nach Formenreichtum. Der Jugendstil der Jahre um 1900 ist hier nur in geringem Maße und meistens nur als Oberflächendekor vertreten; ohnehin ist der Geschmack in diesem mittelständischen Wohnviertel tendenziell eher konservativ und zurückhaltend.
Kurz nach 1870 ist die Poppelsdorfer Allee schon in weiten Teilen bebaut, insbesondere auf der östlichen, von Bonn aus linken Seite mit den hier vorherrschenden repräsentativen Villenbauten. Die geschlossene Zeilenbebauung der rechten Seite war noch sehr unvollständig.
Es versteht sich von selbst, daß die promenadenartige Anlage der Poppelsdorfer Allee zwischen den beiden Schlössern einen repräsentativen Eindruck bot und daher als eine gehobene Wohnlage der Südstadt angesehen wurde.
Generell ging die Bebauung der Südstadt bis in die 8Oer Jahre des 19. Jahrhunderts eher zögerlich vonstatten; erst seit den 90er Jahren setzte ein regelrechter Bauboom ein, der ungefähr bis 1905 anhielt und danach abebbte. Nach dem Ersten Weltkrieg waren nur noch Lücken zu füllen.
Im Zweiten Weltkrieg wurden nur wenige Häuser in der Bonner Südstadt zerstört. Weit schwerer als die Kriegsschäden wiegen jedoch die Schäden der Nachkriegszeit: Baulücken wurden mit wenig passender neuer Architektur gefüllt, manche Fassaden des 19. Jahrhunderts wurden durch Entfernung der altmodischen Fassadendekoration purifiziert oder völlig umgebaut.
Einige Häuser riß man einfach ab und ersetzte sie durch Neubauten, da die Südstadt aufgrund der citynahen Lage für Unternehmen insbesondere des Dienstleistungsgewerbes und für diverse Institutionen zunehmend attraktiv wurde. Außerdem wurden in vielen der ursprünglichen Einfamilienhäuser die Etagen in separate Wohneinheiten verwandelt oder als Büros vermietet.
Positiv zu vermerken ist, daß sich seit den 1970er Jahren die Denkmalpflege, aber auch die Bonner Bevölkerung vermehrt um die Erhaltung der Südstadt bemühen; inzwischen stehen die noch vorhanden gebliebenen Gebäude unter Denkmalschutz. Das gründerzeitliche Wohnviertel mit seiner lange Zeit als nur eklektizistisch verachteten historistischen Architektur ist als gründerzeitliches Ensemble im wesentlichen erhalten geblieben.
Noch heute sorgt die großzügige Begrünung des Stadtviertels für Wohnqualität: Zahlreiche Straßenzüge sind mit Bäumen bestanden, die allermeisten Häuser besitzen Vorgärten, und auf der Rückseite der Häuserblocks befinden sich die meistens durch Mauern voneinander abgetrennten Gärten.
Beispiele für den wenig einfühlsamen Umgang vergangener Jahrzehnte mit der Architektur und der Struktur des historistischen Stadtviertels, das ursprünglich ein fast reines Wohngebiet war, finden sich auch in der Poppelsdorfer Allee zur Genüge. Gerade in dieser Hinsicht gewinnt die Erhaltung des Pfennigsdorfschen Hauses als nahezu unverändert gebliebener bürgerlicher Wohnbau des 19. Jahrhunderts besondere Bedeutung.